Erbschaften reduzieren Vermögenskonzentration
In Deutschland werden jedes Jahr schätzungsweise 200 bis 400 Milliarden Euro vererbt oder frühzeitig verschenkt. Die amtliche Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik erfasst jedoch nur einen Bruchteil davon, da Erbschaften und Schenkungen unterhalb der geltenden persönlichen Freibetragsgrenzen nicht erfasst werden. Durch großzügige Freibeträge soll vermieden werden, dass der Staat an den falschen Stellen zugreift – beispielsweise nach dem Tod des Großvaters das Häuschen besteuert, in dem die Großmutter weiterhin wohnt. So belief sich der Freibetrag für Ehepartner zuletzt auf 500.000 Euro im Erbschaftsfall. Für jedes Kind beläuft sich der Freibetrag auf 400.000 Euro und wird mit abnehmendem Verwandtschaftsgrad immer geringer. Im Jahr 2019 bezifferten sich die unbeschränkt steuerpflichtigen Erbschaften und Schenkungen vor Abzügen laut amtlicher Statistik auf rund 80 Milliarden. Nach Abzug aller Freibeträge und Steuerbegünstigungen waren Erbschaften und Schenkungen im Wert von rund 39 Milliarden Euro steuerpflichtig. Das daraus resultierende Erbschaftsteueraufkommen betrug im Jahr 2019 insgesamt rund 7 Milliarden Euro – weniger als ein Prozent des gesamten Steueraufkommens.
Über die Höhe der Erbschaftsteuer, Freibetragsgrenzen und Ausnahmeregelungen wird in Deutschland viel und gerne gestritten. So hat das Bundesverfassungsgericht die Privilegierung und das Bewertungsverfahren von Betriebsvermögen mehrfach beanstandet. Die grundsätzliche Idee dahinter, den Unternehmensbestand zu sichern und den Erhalt von Arbeitsplätzen steuerlich zu begünstigen, hat das Gericht jedoch nicht kritisiert. Verfechter der Erbschaftsteuer argumentieren zudem, dass sich durch eine höhere Besteuerung von Erbschaften die Vermögensungleichheit reduzieren ließe. Tatsächlich ist die Vermögensungleichheit in Deutschland gegenüber dem Jahr 2002 laut Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) trotz verhältnismäßig gering besteuerter Erbschaften und Schenkungen und zunehmenden Erbschaftsvolumina nahezu unverändert hoch. Eine Vermögensteuer würde je nach Ausgestaltung die relative Vermögensungleichheit kaum spürbar reduzieren, wie unterschiedliche Simulationsstudien zeigen. Daran ändern auch hohe persönliche Freibeträge und Ausnahmeregelungen bei Betriebsvermögen nichts.
Tatsächlich reduzieren Erbschaften und Schenkungen die Vermögenskonzentration, da sich die Vermögensmasse zwischen den Generationen und in aller Regel von wenigen zu vielen verschiebt. Das liegt vor allem daran, dass wenige Alte ihr Vermögen an viele Jüngere vererben: Stirbt beispielsweise der Großvater, erbt zunächst die Großmutter je nach Testament-Regelungen einen Teil oder auch das gesamte Vermögen. Sie ist aber womöglich schon Erbe von ihren Eltern und bereits verstorbenen Geschwistern. Bei ihr konzentriert sich das Vermögen ihrer Familie, bevor es bei ihrem Tod an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird. Verteilt sich der Nachlass am Ende auf mehrere Haushalte der Kinder und Enkelkinder, trägt er zu einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung bei.
Gleichwohl sind Erbschaften und Schenkungen ungleich in der Bevölkerung verteilt und fallen für wohlhabende Haushalte meist höher aus als für weniger wohlhabende. Dabei ist jedoch zu beachten, dass für Verteilungsfragen zumeist nicht die absolute Höhe der Erbschaften zählt, sondern ihr relatives Gewicht zu bereits vorhandenen Vermögenswerten. Dieses Gewicht ist in der Regel für ärmere Haushalte deutlich größer, sodass Erbschaften und Schenkungen in den meisten Fällen zu einer Reduzierung der Nettovermögensungleichheit führen. Dieser Effekt lässt sich in nahezu allen Ländern der Eurozone und darüber hinaus beobachten.
IW-Kurzbericht zum Effekt von Erbschaften und Schenkungen auf die Vermögenskonzentration